Gründen mit 50+
"Lieber Kiezführerin als Rentnerin"
Die meisten Gründerinnen und Gründer in Deutschland sind zwischen 25 und 44 Jahren alt. Obwohl Ältere zwischen 55 und 64 Jahren fast 20% der Bevölkerung ausmachen, sind sie nur für 10% aller Gründungen verantwortlich (KfW-Gründungsmonitor 2012). Doch das muss nicht so bleiben. Die gelernte Hotelfachfrau Karin Löding geht mit positivem Beispiel voran und erzählte uns warum das Alter auch ein Pluspunkt sein kann.
Frau Löding, Sie bieten seit 2015 Kieztouren auf St. Pauli an. Wie sind Sie auf diese Geschäftsidee gekommen?
Als Tourbegleiterin war ich drei Jahre für eine andere St. Pauli-Tour unterwegs. Das war der schönste Job, den ich jemals hatte. Deshalb machte ich eine Ausbildung für Stadtführungen im Schulungszentrum vom Hansa Taxi und staunte, was ich als echte Hamburgerin alles nicht wusste. Mit 14 Jahren war ich ständig im legendären Top Ten Club auf St. Pauli und entwickelte eine besondere Liebe zu diesem Stadtteil. Eine Ausbildung als Hotelfachfrau ist wie eine gute Erziehung – man weiß, was sich gehört, bleibt immer freundlich und traut sich, etwas vor der Gruppe anzusagen. Das erleichtert mir heute den Umgang mit Kunden.
Was unterscheidet Ihre Tour von anderen Stadtführungen? Was ist das Highlight?
In kleinen Gruppen mit 8 bis 10 Personen kann ich Fragen beantworten und auf individuelle Wünsche eingehen. Stimmverstärker lehne ich ab. Meine Gäste lernen das ganz alte und das jüngere schicke St. Pauli kennen und ich erzähle auch von meinen eigenen Erfahrungen auf dem Kiez. Wir besuchen drei alte Kneipen mit einer langen Geschichte: eine richtige Anwohnerkneipe und den Boxkeller vom Lokal zur Ritze. Zum Schluss biete ich oft an, dass wir privat noch in der ehemaligen Stammkneipe der Beatles etwas trinken. Noch ein Highlight ist der Kiez-Führerschein, der den Teilnehmern bestätigt, dass sie nun bereit sind, den Kiez auf eigene Gefahr zu erkunden.
Ihre Homepage sieht toll aus und hat den gewissen Kiez-Charme. Auf welche Marketing-Kanäle setzen Sie noch?
Das Wichtigste ist für mich, bei Google leichter gefunden zu werden. Das ist eine Wissenschaft für sich, bei der mich Hilia Marija Höpker aus dem Team der Unternehmensberatung Kirsch unterstützte. Mit wenigen Handgriffen hat sie meine Website aufgepeppt und mir geholfen, im Ranking weiter oben zu erscheinen. Zuerst warb ich mit Groupon. Dabei verdiente ich zwar nicht viel, wurde jedoch bekannt und erhielt tolle Bewertungen auf TripAdvisor. In dem Newsletter-Workshop lernte ich, meine Kunden-Kontakte für einen eigenen Newsletter zu nutzen. Der Facebook-Spezialist Jan Rother riet mir, dort „live“ eine Tour zu übertragen. Meine YouTube-Videos möchte ich noch professioneller gestalten. In dem Workshop bei Sarah Lindner lernte ich eine Teilnehmerin kennen, die mich für ein Video filmen wird. Viele Gäste habe ich über Empfehlungen bekommen. Man weiß nie, was sich ergibt – ich hatte einmal eine Tour mit nur einem Pärchen. Die Frau war so begeistert und buchte im nächsten Monat mit ihrer ganzen Firma.
Mein Produkt ist ausgereift. Marketing ist jetzt die Hauptarbeit. Ich brauche mehr Zeit dafür und es geht langsamer voran als ich mir vorgestellt hatte.
Viele Dienstleistungen kommen mit wenig Startkapital aus. Wo haben Sie finanziell investiert?
Am Anfang waren es die Druckerzeugnisse: Von meinen Flyern habe ich 1.000 Stück bestellt. Hinzu kamen die Kiezführerscheine und die als Bierdeckel gedruckten Visitenkarten. Außerdem kaufe ich viele Bücher und Zeitschriften über Hamburg und St. Pauli, um meine Tour weiter zu entwickeln.
Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass Sie lieber Kiez-Führerin als Rentnerin sind. Was raten Sie älteren Gründerinnen und Gründern?
Es liegt in meiner Natur Sachen zu machen, die etwas verrückt sind und mit denen keiner gerechnet hätte. Das ist typisch für Wassermänner. Als ich den Entschluss fasste, Kieztouren anzubieten, dachte ich gar nicht an mein Alter. Natürlich möchte ich meine Rente aufstocken und gutes Geld verdienen bis ich nicht mehr arbeiten kann. Vorbild für mich sind zwei Kiezführerinnen, die beide zwischen 70 und 80 Jahre und noch fit sind. In meiner Branche finde ich: Je älter desto besser. Alle staunen, wenn ich sage, ich habe 1966 die Beatles einmal live miterlebt. Junge Studenten als Kiezführer sind nicht so authentisch.
Mein Rat an ältere Gründer ist: Unterschätzt das eigene Potential nicht und sucht Bereiche, in denen Erfahrung und Authentizität zählt. Hierfür steht die Internetseite „Frag Mutti“, auf der man alle möglichen Tipps lesen kann, z.B. wie ich einen Kirschfleck von einem T-Shirt entfernen kann.
Sie haben seit der Gründung 2015 viele Erfahrungen gesammelt. Was ist Ihr persönlicher Tipp?
Never give up! Es werden einem immer wieder Steine in den Weg gelegt, aber man sollte nicht zu früh aufgeben. Sicherlich gab es rückblickend einige Aktionen, die eher sinnlos waren. Doch ich halte es wieder für einen Vorzug des Älterseins, an Dingen dran zu bleiben und weiter zu machen.
Ich habe eine Freundin, die selbstständige Klavier- und Gesangslehrerin ist. Wir telefonieren oder schreiben fast täglich über Whats App, denn wir haben die gleichen Themen und Probleme. Das Netzwerken mit Gleichgesinnten hilft auch beim Nicht-Aufgeben.
Sophie Landes, Unternehmensberatung Claudia Kirsch
Januar 2017